Tanz auf der Abruchkante

Jannis Milios

„Schreibst du denn nix zum Hambacher Forst?“ – Die Frage wurde mir heute gestellt und es fällt mir tatsächlich schwer, was dazu zu sagen, weil zwei Herzen in meiner Brust schlagen: Ich kenne die Erzeugungs- und Wertschöpfungsstatistiken die klar sagen, dass wir noch eine Zeit lang aus verschiedensten Gründen auf die Verstromung von Braunkohle angewiesen sein werden. Meine halbe Familie hat bei der Rheinbraun ihr Geld verdient. Ich habe mein ganzes Leben lang von Infrastruktur profitiert, die uns die Rheinbraun zB in Türnich fast kostenlos hingestellt hat. Mir ist auch bewusst, dass es wahrscheinlich zig‘ wirkungsvollere Maßnahmen gibt, das Klima zu schützen, als den Braunkohleabbau binnen der nächsten 10 Jahre einzustellen: Flugbenzin endlich versteuern, weniger Fleisch konsumieren etc, etc…

Aber dann gibt es noch die andere Seite: Mich erschreckt der grenzenlose, unkritische Glaube an die Fähigkeit des Menschen die Natur zu beherrschen. Und dafür steht der rheinische Braunkohletagebau mit seinen alles verschlingenden Gruben und den gewaltigen Rekultivierungsprojekten wie kaum ein anderes menschliches Unterfangen. Auf Dekaden hinaus wird in Rahmenbetriebsplänen festgeschrieben, was wann passieren wird. Unbesehen der Welt, die sich um uns verändert. Die immer deutlicher Spuren irreperabler Schäden durch uns und unseren Lebensstil zeigt.

Wir halten die Gegenwart für gegeben, als wäre irgendwann das Ende der Zeit eingetreten, als gäbe es nach uns nichts mehr, für das es lohnen würde uns zu hinterfragen oder einzuschränken. Wir haben die Demut vor der Natur und ihrem Gewaltmonopol verloren, das alles in den Schatten stellt, an das wir uns klammern um unsere Welt zu ordnen. Auch dafür stehen für mich diese Tagebaue: Die Beliebigkeit, der ignorante Größenwahn, die Gedanken- und Verantwortungslosigkeit, mit der wir auf der Abruchkante tanzen. Ich kann und will keine Menschen bekämpfen. Ich kann und will keine Tagebaue bekämpfen. Aber ich muss den Geist bekämpfen der die Tagebaue, und nicht nur die, antreibt, wenn ich für eine lebenswerte Zukunft einstehen will. Dafür habe ich für mich die Politik gewählt, aber ich kann jeden Menschen verstehen, der sich heute an einen Baum in Hambach kettet und friedlich seinen Wiederstand zeigt.