Das neue Normal

Jannis Milios

Die Corona-Pandemie wird uns noch lange in Atem halten, und die Welt, wie wir sie kannten, dauerhaft verändern. Unser Schicksal als Gesellschaft hängt davon ab, ob und wie schnell wir das akzeptieren und wie wir uns dieser neuen Normalität anpassen.

Neue gesellschaftliche Prioritäten
Kranken- und Altenpfleger*innen, Feuerwehrleute, Rettungsdienste, ehrenamtlich sozial engagierte Bürger, Verkäufer*innen im Einzelhandel, der Italiener um die Ecke oder die Einzelhändler im Dorf: Es ist erstaunlich wer und was in der Not für die Gesellschaft wieder wichtig wird. Wahrscheinlich ist das der eine heilsame Effekt der Corona-Pandemie; dass wir als Land, als Gesellschaft unsere Prioritäten hinterfragen müssen und am besten direkt neu setzen. Lokal kaufen und ausgehen, Urlaub im eigenen Land, nicht zuletzt mehr Wertschätzung – auch finanzieller Art – für Pflege- und Heilberufe, Angestellte im Einzelhandel und Ehrenamtler. Das war alles auch vor Corona ein Thema. Nutzen wir die Chance, jetzt dauerhaft etwas an uns und unserer Gesellschaft zu verändern.

Eigenverantwortung und Gemeinsinn
Es wird derzeit viel darüber spekuliert, warum Deutschland im internationalen Vergleich bisher relativ glimpflich durch die Pandemie gekommen ist. Weshalb unsere Sterberate eine der niedrigsten der industrialisierten Welt ist, warum unsere Infektionsraten so rasch wieder sinken. Ich denke, das hat viel mit unserer vielgescholtenen Gesellschaft als Ganzes zu tun: Gemeinsinn, überlegtes Handeln, Eigenverantwortung und Disziplin wenn es darauf ankommt. In der Not sind das halt noch immer deutsche Tugenden – Mal ein echter Grund stolz zu sein. Trotzdem ist die Krise noch nicht vorüber. Das Corona-Virus wird uns noch viele Monate und Jahre in Atem halten. Wir dürfen nicht nachlässig werden, leichtsinnig oder selbstzufrieden. Wir sind in der Sache alle betroffen und somit auch alle in einem Team. Das Teamplay fängt bei der Geduld an, mit der wir in der Warteschlange beim Bäcker stehen, mit dem Abstand, den wir freiwillig zu unseren Mitmenschen halten oder all den Improvisationen, mit denen wir derzeit versuchen durch den Alltag kommen.

Die Digitalisierung rettet uns
Selbst wenn zeitnah ein Impfstoff gegen das Corona-Virus entwickelt wird. Die Debatte darüber, welche der Einschränkungen zur Eindämmung der Pandemie jetzt wie in welchem Maße gelockert wird, zeigt letztlich nur, wie unvorbereitet Politik und Gesellschaft auf eine derartige Krise waren. Das Zauberwort, das bereits vor Jahren kaum beachtet durch die Medien geisterte ist „Resilienz“. Resilienz bedeutet im Gegensatz zur Resistenz nicht, dass man gegen eine Bedrohung immun ist, sondern, dass man mit ihr so gut wie möglich weiterleben kann. In den vergangenen Wochen konnte man viele Beispiele für dieses Konzept erleben. Die meisten davon haben etwas mit einem anderen, von Bund und Land sträflich verschlafenem Trend zu tun: Digitalisierung. Online-Unterricht, Online-Nachbarschaftshilfe, Online-Versand und Online-Verwaltung. Wir lernen derzeit, dass Digitalisierung und die Fähigkeit einer Gesellschaft Krisen zu überstehen – die sogenannte soziale Resilienz – gehen Hand in Hand.

…und unsere Solidarität für die, die sie jetzt brauchen
Die Zahl der Menschen, die auf unsere Solidarität angewiesen ist, steigt durch die Corona-Pandemie und ihre direkten wie indirekten Folgen enorm an und wird auf absehbare Zeit nur langsam sinken. Der Einzelhändler oder die Gaststätte um die Ecke, das Kino im Dorf, aber auch alte und durch das Virus besonders gefährdete Menschen brauchen unsere Hilfe und besondere Aufmerksamkeit. Das wird uns nur gelingen, wenn jetzt nicht der Egoismus ausbricht, und alle zusehen, dass zuerst Ihren Interessen und Problemen genüge getan wird. Menschenleben, unser Kulturleben, ja auch unsere Dorkneipe – vielleicht die letzte im Dorf – sind derzeit wichtiger als unser subjektives Gerechtigkeitsgefühl. Und ist der eigene Beruf nicht systemrelevant, die eigene Branche nicht das Ziel staatlicher Hilfsgelder oder wir selbst mit unseren Problemen nicht im Fokus der medialen Aufmerksamkeit, weil wir nicht mit besonderen Risiken oder Nöten herausstechen: Der Staat kann derzeit nicht uns allen gerecht werden. Deswegen müssen wir gemeinsam entscheiden, wo und wie wir unsere begrenzten Ressourcen einsetzen um das beste Ergebnis für uns als Gesellschaft zu erzielen.