Juni 1989:
Als 14 jähriger in der damaligen DDR war es für mich normal anzustehen. Für Kleidung, für Haushaltswaren, Obst. Wir litten keinen Hunger, aber alles war irgendwie knapp. Gehamstert wurde nicht. Man freute sich über die besonderen Kleinigkeiten, die man sich organisiert hatte, oder man improvisierte eben, bastelte, streckte, lieh und handelte. Auch wenn bei uns der Staat allgegenwärtig war, wussten wir uns selbst zu helfen – wir mussten es wissen.
März 2020:
Als 45 jähriger muss ich Glück haben, um am Ende eines langen Arbeitstages im Konsumtempel um die Ecke noch Klopapier, Mehl, Nudeln und Eier zu bekommen. Ich grinse da manchmal in mich rein, und vielen Menschen, die in der DDR aufgewachsen sind, wird es da sicher ähnlich gehen. Ich hab 30 Jahre lang hart gekämpft um im Westen ankommen zu können. Auch darum, als Ossi ernst genommen zu werden. Und dann das: Wenn irgendwas passiert, was nicht dem Plan entspricht, dass immer alles irgendwie da und käuflich sein soll, dreht die Gesellschaft durch, und rennt zum Lidl um sich 5 Pakete Klopapier unter den Arm zu klemmen und die letzte Hefe aus dem Regal zu kratzen.
Wie gesagt: Ich lächle da immer.
Manchmal glaube ich, zu viele Menschen bei uns meinen, die Werbung, die ihnen jeden Tag auf allen Kanälen ins Hirn geschossen wird, wäre die Wirklichkeit. Als würden wir wirklich in dieser Hochglanz-Welt ohne Mangel, ohne Fehler leben, in der die Menschen immer nur lachend ihre vollen Kühlschränke öffnen. Bei allem Leid, das Corona über viele Menschen bringt, ist es vielleicht mal ganz gut wenn unsere Lebensart in Frage gestellt wird. Denkt daran, wenn ihr das nächste mal in den Supermarkt geht.