5 Wahrheiten zum Ende der Braunkohle

Alessa Flohe

In Kerpen findet man auf ca. 500 ha Fläche das Symbol des Widerstandes gegen die Braunkohle. „Hambi“, wie er liebevoll genannt wird, war in den letzten Jahren Mittelpunkt unzähliger Diskussionen. Die Schlacht zwischen Aktivisten, RWE und Medien mutete schon fast wie ein Kampf „David gegen Goliath“, Schöpfung gegen gewissenlose Konzernmacht an.

Statt sich Fragen nach der praktischen Umsetzung eines zeitnahen Kohleausstiegs zu widmen, stritt sich die Öffentlichkeit in den sozialen Medien und Kommentarspalten darüber, wer wann über welches Feld gelaufen war.

Betrachten wir die ganze, jahrzehntelange Geschichte hinter diesem Konflikt einmal nüchtern, so lassen sich schnell fünf Wahrheiten über den Ausstieg aus der Braunkohle und die verpfuschte öffentliche Diskussion darüber herausstellen.

  1. Der Braunkohleausstieg ist richtig und wichtig um unser Klima zu retten. Er muss kommen – besser früher als später. Die Frage ist „Wie?“ Durch einen vergifteten Diskurs und persönliche Angriffe lässt sich diese Frage nicht effizient beantworten.
    Vom Extremwetter wie dem Dürresommer 2018 mit seinen Temperaturen jenseits der 40 Grad und den dürrebedingten Millionenschäden für die Landwirtschaft bis zu den verheerenden Waldbränden in Brasilien und Australien – Der menschengemachte Klimawandel ist real und fordert ein entschiedenes Handeln – auch und gerade von führenden Industrienationen wie Deutschland. Die Frage nach der Bekämpfung des Klimawandels und seiner Folgen wurde jedoch jahrzehntelang genauso wenig diskutiert, wie der daraus ableitende Ausstieg aus der Braunkohleverstromung. Entsprechend unvorbereitet waren Politik, Wirtschaft und Gesellschaft auf die dynamische Entwicklung die der Ausstiegsprozess nahm, als das Thema Klimaschutz plötzlich begann Wahlen zu entscheiden.
  2. Mit dem Ausstieg aus der Braunkohle verschwindet nicht nur ein Arbeitgeber aus der Region, sondern eine ganze Wertschöpfungskette, von der Werkssiedlung bis zum Großkraftwerk. Wir stehen vor der Aufgabe, nicht nur das Weltklima zu retten, sondern den Strukturwandel in unserer Region so zu meistern, dass hier kein zweites Ruhrgebiet entsteht.
    Wie viele Dörfer und Weiler entstanden auf Basis der Braunkohle? Wie viele Hallen, Schwimmbäder und Vereine wurden mit dem Wohlstand aus den Tagebauen finanziert? Wie ersetzen wir die Kaufkraft, tausender gut bezahlter Industriearbeitsplätze in den kleinen Gemeinden um die Veredlungsbetriebe und Kraftwerke? Vom einzelnen RWE-Mitarbeiter zu verlangen, dass er sich beruflich „mal eben“ umorientiert, reicht also nicht aus. Überlegungen in diese Richtung sind sicherlich nicht Kernkompetenz der Aktivisten, und ja, die erfolgreiche Bekämpfung des Klimawandels rettet mit Sicherheit am Ende mehr Menschen, als mit dem Kohleausstieg Jobs verloren gehen. Aber man darf verdammtnocheins den menschlichen Aspekt nicht aus den Augen verlieren und blindlings Existenzen opfern.
  3. Der Kohleausstieg ist auch ein Bruch sozialer und kultureller Natur. Der Gedanke, die Arbeit im Werk oder im Tagebau, sei in dieser Hinsicht einfach zu ersetzen, ist so einfach wie falsch. Der Arbeiter muss im öffentlichen Diskurs wieder vorkommen, und zwar ohne ihn zum Sündenbock für die Fehler von Politik und Management zu erklären.
    Hier leben Menschen, die sich mit und über ihre Arbeit bei Rheinbraun – und später RWE – identifiziert haben. Das Werk war sozialer Anker vieler Dorfgemeinschaften, ein Quell von Stolz und Würde.
    Genau diese Menschen kommen im Diskurs nicht mehr vor, es wird nicht mit ihnen, sondern über sie gesprochen. Verschlimmert wird das noch dadurch, dass sie im öffentlichen Diskurs nur noch als abzuwickelnde Relikte vorkommen. Der Klimawandel wird ihnen oft persönlich zum Vorwurf gemacht, verbunden mit der üblichen politischen Links-Rechts-Zuweisung, ohne die heutzutage keine öffentliche Debatte mehr auszukommen scheint.
  4. Strukturhilfen müssen kreativ und flexibel für die betroffenen Menschen verwendet werden.
    Einem Kraftwerksmeister aus Kerpen-Brüggen ist kaum zu vermitteln, dass er davon profitiert, wenn zwischen Bergheim und Elsdorf autonome Busse – finanziert von Strukturhilfen – fahren, er aber immer noch nicht weiß, wie er die 15 Jahre bis zur Rente in Würde überbrücken soll. Betroffenheit ist individuell. Es muss ein Ansatz gefunden werden, der die Menschen auffängt. Setzt man ihnen nur von Strukturmitteln finanzierte Großprojekte vor die Nase, die ihnen in ihrer Existenzsicherung nichts bringen, dann können diese Projekte noch so gut für die Allgemeinheit sein.
    Niemand darf zurück gelassen werden.
  5. Der Strukturbruch ist Folge einer feigen Politik, die über Jahre mantrahaft darauf hinwies, dass Rahmenbetriebspläne bis 2045 unumstößlich gelten, während sie es besser wusste. Dies ist nichts anderes als die fahrlässige Verschleppung politischer Verantwortung.
    Folge auch eines RWE-Managements, das sich auf die Fähigkeit der Politik in Land, Bund und den Kommunen verließ, den Kohleausstieg schon lange genug hinauszuzögern. Der Konzern hat lieber taktische Spielchen mit Öffentlichkeit und Politik gespielt, als sich für die Zukunft zu wappnen. Die wirtschaftliche Existenz der Mitarbeiter – so bitter muss man das rückblickend sagen – war hierbei eher zweitrangig. RWE macht aktuell gute Gewinne.

Was ist zu tun?

Verbal abrüsten

Wichtig bei der ganzen Auseinandersetzung ist es, den Menschen hinter dem Sammelbegriff zu sehen. Bei aller Notwendigkeit für den Kohleausstieg muss die Leistung der davon betroffenen Menschen anerkannt werden. Letztlich zahlen sie mit ihren Arbeitsplätzen für den Klimaschutz. Daher müssen Respekt und Augenmaß die Debatte prägen. Hierbei darf es keine Gewinner und Verlierer geben. Das Ende der Braunkohle ist niemandes Sieg.

  • Dem Mitarbeiter, der morgens um 5:00 / 5:30 am Werk aufschlägt und seinen Job verrichtet, an den Kopf zu werfen ein „Arschloch“ zu sein, weil er das tut, was er schon immer getan hat, und weil er seine Familie wirtschaftlich versorgen will, kann nicht die Lösung dieses komplexen Problems sein.
  • Im öffentlichen Diskurs stehen die RWE-Mitarbeiter vor der Wahl entweder ihren Job zu machen, dann aber persönliche Verantwortung am Klimawandel zu haben, oder Absolution durch die selbsternannten Gralshüter des Klimaschutzes zu erhalten, indem sie diesen Job quittieren. Die Forderung den Job „mal eben so“ niederzulegen zeugt ebenso von den Privilegien des Fordernden, als auch von einer kompletten Ignoranz gegenüber den Menschen, die auf diese Jobs angewiesen sind.
  • Nicht jeder Aktivist ist ein Terrorist und Klimaschutz hat im gemäßigten Mittel auch keine Verbindung zu kommunistischen Diktaturen oder gar dem Faschismus.
  • Gewaltphantasien vom brennenden Hambacher Forst und aus den Wipfeln kartätschten Baumhäusern, helfen genausowenig bei der Lösung auch nur eines unserer Probleme wie verbale Angriffe und Drohungen gegen Polizei, Politik sowie RWE-Belegschaft.
Gemeinsam Ziele formulieren

Die Debatte um das Ende der Braunkohle muss endlich wieder rational und auf einer realistischen Basis von Fakten geführt werden.

Es ist auch Aufgabe des Sozialstaates die einzelnen Glieder der Wertschöpfungsketten aufzufangen, und vor einem privaten Niedergang bestmöglich zu schützen.

Aber vor allem muss die Politik, GEMEINSAM mit der Industrie, Gewerkschaften und nicht zuletzt den Menschen hier vor Ort handeln und konkrete Ergebnisse schaffen. Wirtschaftlicher Erfolg darf nicht länger das Messer im Rücken der Klimarettung sein. Der Strukturwandel muss auch als sozialer und kultureller Wandel begriffen werden, in dem die Berufsgruppen nicht vollkommen entwürdigt werden.

Bei den Menschen ansetzen
  • Statt auf High-Tech-Großprojekte – die auch ihre Berechtigung haben – setzen wir direkt auf die vom Kohleausstieg betroffenen Menschen im Rhein-Erft-Kreis um den Strukturwandel zu stemmen.
  • So soll gemeinsam mit den Handwerkskammern und der KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) ein Förderprogramm aufgesetzt werden, dass es ehemaligen Facharbeitern ermöglichen soll, sich als Handwerker selbstständig zu machen.
  • Das enorme betriebliche Wissen der Facharbeiter und Ingenieure muss in der Region gehalten werden. Die Zuliefer- und Veredlungsbetriebe müssen dabei unterstützt werden, neue Produkte zu entwickeln und neue Märkte zu erschließen. Hierbei sollte auf Kooperationen mit Universitäten und Forschungseinrichtungen gesetzt werden, um die Betriebe mit neuester Technologie zu versorgen.

Der Strukturwandel wird derzeit von Bürokraten und Demagogen bestimmt. Letztendlich gelingen kann er nur, wenn die Betroffenen übernehmen und die Menschen im Blick bleiben. Ahoi!

Über den Autor

Alessa Flohe vertritt die Piratenpartei Kerpen seit 2020 im Stadtrat, wo sie sich der FDP-Fraktion angeschlossen hat und stellvertretende Fraktionsvorsitzende ist. Zusätzlich ist sie als stv. sachkundige Bürgerin im Regionalentwicklungsausschuss des Rhein-Erft-Kreis aktiv.

Als behördliche Datenschutzbeauftragte ist sie firm in Belangen der Verwaltung und hat damit einen guten Einblick, wie man die Kommune voranbringen kann. Nebenher studiert sie Wirtschaftsrecht mit Schwerpunkt Medien- und Internetrecht. Ihre Schwerpunkte sind Netzpolitik und Entwicklung, ihr Hintergrund als Fachinformatikerin liefert dort das notwendige Know-How.