Wider dem Vergessen – 20.01.1942

Alessa Flohe

Heute vor 79 Jahren legten die Nationalsozialisten in der sogenannten Wannseekonferenz unter der Leitung von SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich die weiteren Schritte für den Holocaust fest.

Heydrich wurde bereits 1941 mit der „Endlösung der Judenfrage“ beauftragt und berief diese Konferenz ein, um die Organisation der Massenmorde und die Deportation der Opfer zu koordinieren.

Die Teilnehmenden legten den zeitlichen Ablauf fest, grenzten die Opfergruppen ein und einigten sich auf eine Zusammenarbeit. Diese wurde geleitet vom Reichssicherheitshauptamt, dem Heydrich vorsaß.

Verdeutlicht wird mit diesem historischen Ereignis einmal mehr, dass der Holocaust nicht der „aggressive Ausbruch“ eines Einzelnen war. Mit deutscher Präzision bewertete man seelenruhig, wer des Lebens würdig war und wer wann wie sterben sollte.

Während meiner Schulzeit nahm ich oft den Vorwurf wahr, dass man ja über nichts mehr sprach, außer über Hitler. Das es irgendwann mal gut wäre, und dass „wir“ doch nichts dafür könnten, was damals passiert sei. Sowas könne niemals wieder passieren. Wir hätten draus gelernt.

Aber haben wir das?

Gerade in der aktuellen Zeit habe ich das Gefühl, dass wir uns Ereignisse dieser Art öfter ins Gedächtnis rufen müssen. Nicht, weil Antisemitismus, Rassismus und antidemokratische Strömungen in Deutschland neu sind. Nein, das sind sie bei weitem nicht.

„Diese Strukturen treten nur in den letzten Monaten und Jahren immer deutlicher hervor, sodass nun auch der letzte nicht mehr behaupten könnte, er habe nichts mitbekommen.“

Eine vollständige Entnazifizierung hat nie stattgefunden, nach Kriegsende konnten Juristen, Lehrer und weitere Schergen Hitlers einfach weiter machen wie vorher. Direkt nach dem 2. Weltkrieg formierten sich Gruppen, welche die neuen deutschen Grenzen nicht anerkannten, das „neue System“ nicht anerkannten und die später in der Reichsbürger-Bewegung zusammenkommen sollten. Internalisierter Rassismus und Antisemitismus traten aber auch beim „Otto-Normal-Verbraucher“ zu Tage.

Nein, ein strukturelles Problem hatten und haben wir. Diese Strukturen treten nur in den letzten Monaten und Jahren immer deutlicher hervor, sodass nun auch der letzte nicht mehr behaupten könnte, er habe nichts mitbekommen.

Wenn Lebensborn-Kinder vom Staat nicht als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt werden, weil ihre Verschleppung nicht ihrer Auslöschung diente, wenn Menschen gelbe Sterne mit der Aufschrift „nicht geimpft“ tragen und die Bundesregierung mit der NS-Diktatur verglichen wird, spätestens dann ist es an der Zeit, die Gräueltaten der Nationalsozialisten in das kollektive Gedächtnis zu rufen.

„Wir müssen uns dem Vorwurf stellen, dass wir nichts gelernt haben. Und endlich damit anfangen“

Wenn Asyl-Bewerber auf feuerfesten Matratzen gefesselt werden und dennoch von selbst, ohne fremdes Zutun, alleine in einer Gefängniszelle in Flammen aufgehen können und verbrennen, wenn immer mehr rassistische Chat-Gruppen in Polizei und Bundeswehr zu Tage treten, und wenn wir Menschen in Lagern zu zehntausenden sterben lassen. Dann wissen wir: Es hätte viel früher passieren müssen.

Wenn es eine Partei, die davon spricht, auf Flüchtlinge schießen zu lassen, in Parlamente auf allen Ebenen schafft, eine Partei die davon sinniert, türkische Mitbürgerinnen „entsorgen“ zu wollen, die mit Neo-Nazis und Rassisten auf Demonstrationen marschiert und auf Twitter unverblühmt das N-Wort als Beleidigung verwendet. Eine Partei, die in einer kleinen Anfrage den Zusammenhang zwischen Migration und „Behinderung“ durch Inzest suggerierte und belegt haben wollte. Eine Partei, die rechte Störer in den Reichstag einschleust, die die anderen politischen Kräfte bedrängen.

Wenn es eine solche Partei in Deutschland in den Bundestag schafft.

Dann müssen wir uns dem Vorwurf stellen, dass wir nichts gelernt haben. Und endlich damit anfangen.

Wir gedenken aller Opfer des Nationalsozialismus. Wider dem Vergessen. Nie wieder.

https://www.morgenpost.de/politik/article213996217/AfD-Anfrage-zu-Behinderung-und-Migration-Inzest-nahegelegt.html

https://www.spiegel.de/panorama/justiz/lebensborn-kinder-der-ss-betroffene-fordern-anerkennung-als-ns-opfer-a-e34d5c5f-738e-4d2b-866e-d52175d55be2

https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/in-anatolien-entsorgen-ermittlungen-gegen-gauland-eingestellt-15594692.html

https://www.sueddeutsche.de/muenchen/freising/freising-querdenker-telegram-afd-politiker-1.5145111

https://www.waz.de/politik/afd-bundestag-corona-stoerer-kritik-id230949292.html

https://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/in-polizeizelle-verbrannt-warum-sich-oury-jalloh-nicht-selbst-angezuendet-haben-kann/26774236.html

https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/jens-maier-afd-richter-bundestagsabgeordneter-rassistischer-kommentar-noah-becker/

https://www.tagesschau.de/investigativ/monitor/polizei-chat-rassismus-101.html

https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/berlin-und-nrw-neue-rassistische-chatgruppen-bei-polizei-entdeckt-16981029.html

https://www.zdf.de/politik/frontal-21/rechte-kapern-hygiene-demos-100.html

https://www.bpb.de/lernen/digitale-bildung/medienpaedagogik/272547/reichsbuerger und Deutschlankfunk Nova „Hörsaal“ Folge vom 9.01.2021 „Reichsbürger als Gefahr für die Demokratie – Tobias Ginsburg und Andreas Speit“

Über den Autor

Alessa Flohe vertritt die Piratenpartei Kerpen seit 2020 im Stadtrat, wo sie sich der FDP-Fraktion angeschlossen hat und stellvertretende Fraktionsvorsitzende ist. Zusätzlich ist sie als stv. sachkundige Bürgerin im Regionalentwicklungsausschuss des Rhein-Erft-Kreis aktiv.

Als behördliche Datenschutzbeauftragte ist sie firm in Belangen der Verwaltung und hat damit einen guten Einblick, wie man die Kommune voranbringen kann. Nebenher studiert sie Wirtschaftsrecht mit Schwerpunkt Medien- und Internetrecht. Ihre Schwerpunkte sind Netzpolitik und Entwicklung, ihr Hintergrund als Fachinformatikerin liefert dort das notwendige Know-How.