Unser Kreistagsabgeordneter Jannis Milios hat auf der Mahnwache am 18. März in Lechenich eine Rede über Demokratie und Freiheit gehalten. Die Rede findet ihr hier als Transkript.
Im Wortlaut hören könnt ihr sie auf Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=8CS64imGUjg
Wir sind es gewohnt, die Worte Demokratie und Sterben, Freiheit und Sterben, sich wirklich dafür einsetzen. Das ist ein Konzept, das haben wir aus unseren Köpfen verbannt. Das ist eine Folge unserer privilegierten Gesellschaft, in der wir leben. Wir können uns für unsere Demokratie einsetzen indem wir Schweigeminuten halten. Indem wir langweilige Ratssitzungen besuchen. Die Ratsleute aus Erftstadt werden mir das bestätigen können wie sie manchmal jeden Mittwoch stundenlang leiden (lacht). Indem wir heißen Tee und warme Decken an Flüchtlinge verteilen. Das ist einfach, das ist bequem. Aber das alleine ist noch kein Maßstab für Demokratie. Und so wenig wie gesagt wurde, das wir wissen das dahinten (meint die Querdenker-Demo) nur Nazis mitlaufen, so wenig weiß ich, ob hier nur Demokraten stehen. Denn ganz am Ende entscheiden sich Demokratien an dem Punkt: bin ich bereit, für mich Nachteile entgegen zu nehmen, bin ich bereit Zumutungen zu akzeptieren? Für Werte. Für Konzepte, die über mich selber hinaus gehen. Die Solidarität zu meinen nächsten. Zu Menschen, die vulnerabel sind in einer Pandemie. Zu den Menschen in der Ukraine. Oder für meine eigene Demokratie. Wenn denn irgendwann mal ein Panzer über die Grenze rollt und sie mir nehmen will.
Jeder der sich heute Demokrat nennt, muss sich genau die Frage stellen: Wie weit wäre ich eigentlich bereit zu gehen für das was ich Freiheit nenne. Und das ist eine Frage, Demokratien stellen die jeden Tag an uns. Jede Minute. Die ersten Sätze, die ersten Worte in unserem Grundgesetz, sind nicht „die Würde des Menschen ist unantastbar“, sondern „im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen“. Das sind die ersten Worte unseres Grundgesetzes. Verantwortung. Vor Gott und Menschen. Ich würde mir den Gott nicht zu eigen machen, aber die Menschen.
Die Verantwortung gegenüber meinen Mitmenschen und jeden morgen wenn ich aufstehe, wenn ich meinen Mitmenschen ins Gesicht sehe, lege ich meine Haltung zu ihnen fest, zu dieser Welt und zu dieser Gesellschaft. Das ist Demokratie. Und jeden morgen können wir festlegen, wie weit wir bereit dafür sind zu gehen um Demokratie und Freiheit zu verteidigen, um diese anderen Menschen, mit denen ich nichts zu tun habe, die mir meilenweit, manchmal tausende Kilometer, entfernt sind, mich für diese Menschen einzusetzen und mich mit ihnen verbunden zu fühlen.
Demokratie, das ist ein Team.
Ich bin Historiker. Es gibt zwei ganz klar unterscheidbare Seiten der Geschichte. Es gibt die Seite der Dunkelheit und des Lichts und das klingt pathetisch, aber es ist so. Es zieht sich durch unsere ganze Menschheitsgeschichte, das Menschen dafür sterben und leben frei zu sein und in einer Demokratie zu leben.
Wir erleben das heute und es ist ein fremdes Konzept für uns. Wer in dieser Woche im Bundestag gesehen hat, wie ein Kriegsheld sich gemeldet hat und eine Rede gehalten hat, und wir direkt danach zu der Tagesordnung übergegangen sind. Zu den Geburtstagswünschen. Daran lässt sich der Unterschied erkennen, in welcher Gesellschaft wir leben und was die gesellschaftliche Realität in der Welt da draußen ist. Wir bekommen das nur indirekt mit. Wenn Menschen zu uns kommen, die vor Vertreibung fliehen. Vor Unterdrückung. Die um ir Leben fliehen. Das haben wir 2015 erlebt. Wir haben es erlebt in der Corona-Pandemie, als millionen Menxschen weltweit gestorben sind, die auch auf unsere Solidarität angewiesen sind. Ob wir ihnen Impfstoffe geliefert haben oder ob wir einfach nur eine Maske getragen haben. Die auf unsere Solidarität angewiesen sind.
Und wir erleben es jetzt in der Ukraine, und das sie näher ist als wir denken in unserem sicheren, friedlichen Deutschland.
Und das sollte uns alle demütig machen, wenn wir wieder in einer langweiligen Ratssitzung sitzen. Seit dem 24. Februar nehme ich mit einem ganz anderen Vergnügen an den Aktivitäten des Kreistages Rhein-Erft teil, wo ich das Privileg habe von euch als Mitglied gewählt worden zu sein. Es ist ein ganz anderes Gefühl, du sitzt da plötzlich und weißt, ein paar tausend Kilometer weiter sterben Menschen dafür hier sitzen zu dürfen. Ihre Vorsitzenden wählen zu dürfen und nicht vorgesetzt zu bekommen. Das ist ein tagtäglicher Kampf den wir alle leben müssen, wenn wir sagen, wir sind Demokraten.
In winzig kleinen Situation. Und hoffen wir, das wir alle nie an den Punkt kommen, das wir die Wahl haben: Geb ich mein Leben? für etwas das größer ist als ich. Das ist unser Privileg. Und in diesem Sinne hoffe ich, das wenn wir heute Abend auseinander gehen, morgen auch noch unseren demokratischen Geist beweisen, und übermorgen, und in der Woche danach. Das ist eine Lebensaufgabe, für uns alle. Weil da warten noch ganz viele Generationen darauf in der Sicherheit, in der Demokratie zu leben, in der wir leben. Und das ist einen Kampf wert. Und das ist ein Risiko wert. Und das ist es wert, das man auch mal Nachteile hat. Und ich denke, wenn ich in die Gesichter hier sehe, bin ich nicht alleine.
Dieses Frühjahr war furchtbar. Wer die Nachrichten angemacht, es war schlimm. Aber es hat mir auch viel Hoffnung gebracht.
Es hat mir Hoffnung gebracht, dass es noch in dieser Welt ein Geist herrscht, der über Panzer triumphiert. Der über die Unterdrückung, über den Opportunismus unserer Politiker und unserer Gesellschaft, an den wir uns in den letzten 22 Jahren gewöhnt haben, als wir Vladimir Putin beim morden egal wo zugesehen haben. Das es da einen menschlichen Geist gibt, der dem entgegen steht und der gewinnen und siegen kann. Hoffen wir das Beste für die Menschen in der Ukraine, hoffen wir darauf das sie gewinnen werden. Nicht nur in ihrem Interesse. Sondern das wir ein Beispiel haben und Hoffnung, das sich kämpfen lohnt, und das sich aufstehen lohnt, und das es in der Welt mehr gibt als einfach nur meine Interessen und mein nacktes Überleben.
Dankeschön.