NRW schafft sich ab – Irrsinn im Bildungsministerium

Kristian Katzmarek

Landesregierung will das Fach Sozialwissenschaften aus dem Lehrplan entfernen

Vorsatz: der Autor dieses Artikels hat zu diesem Thema eine Petition gestartet, die ihr hier unterstützen könnt:

http://openpetition.de/!bqchc

Die Landesregierung NRW plant mit einer neuen Lehramtszugangsverordnung das Fach Sozialwissenschaften abzuschaffen und durch ein „neues“ Fach Wirtschaft/Politik zu ersetzen. Dabei gibt es weder eine Strategie, wie die sich aktuell im Sozialwissenschaftsstudium befindlichen Studierenden ihre Ausbildung beenden sollen, noch wird auf die aktuellen Lehrkräfte des Faches Rücksicht genommen. Diese, welche einen Abschluss in einem Fach erreicht haben, welches sich aus Soziologie, Politik und Wirtschaft zusammensetzt bzw. diese verknüpft und vereint, gelten plötzlich als unqualifiziert und sollen das neue Fach Wirtschaft/Politik nur vertretungsweise unterrichten dürfen.

Lehrkräfte des Faches Sozialwissenschaften müssen ihre Lehrbefähigung mit einer einjährigen Zertifikatsfortbildung in dem „neuen“ Fach wiederherstellen. Diese darf allerdings (Stand jetzt) auch von fachfremden Lehrkräften absolviert werden. Die politische Bildung ist in großer Gefahr und eine mindestens 6,5-jährige Ausbildung (Regelstudienzeit 5 Jahre + min. 18-monatiges Referendariat), welche die Lehrkräfte Deutschlands durchlaufen, wird mit Füßen getreten und das von dem Bundesland, welches medial namentlich z.B. als bildungsland.nrw auftritt.

Genauer betrachtet heißt das Fach, welches umgangssprachlich immer nur als Politik bezeichnet wird, im Kernlehrplan des Landes Nordrhein-Westfalen aber bereits Politik/Wirtschaft und wird faktisch in der Sekundarstufe I von den studierten SozialwissenschaftlerInnen gelehrt. Und diese gelten dann plötzlich für das „neue Fach“ Wirtschaft/Politik als unqualifiziert?

„Das Fach Sozialwissenschaften sollte auf keinen Fall durch ein anderes Fach, welches eigentlich nur die „Diät-Variante“ der Sozialwissenschaften darstellt, ersetzt werden.“

Angeknüpft wird hinsichtlich der politischen Bildung in der Sekundarstufe II mit dem Fach Sozialwissenschaften. Dieses Fach ist an den meisten Schulen das einzige, welches eine wirkliche Interdisziplinarität repräsentiert, in welchem Inhalte verschiedener Fachbereiche nicht getrennt behandelt, sondern adäquat verknüpft werden. Und dieses Fach gilt es nun abzuschaffen und das ohne eine ordentliche EXIT-Strategie?

Wenn es der Landesregierung um eine bessere politische und wirtschaftliche Ausbildung der Lernenden geht, sollte das Fach Sozialwissenschaften auf keinen Fall durch ein anderes Fach, welches eigentlich nur die „Diät-Variante“ der Sozialwissenschaften darstellt, ersetzt werden. Denn wie es der Name Wirtschaft/Politik bereits andeutet, fällt im Vergleich zu den Sozialwissenschaften einfach die Soziologie inhaltlich bei diesem „neuen Fach“ heraus.

Im Gegenteil, dem Fach Sozialwissenschaften sollte ein größerer Stellenwert in der Schullaufbahn eingeräumt werden. Während man aktuell das Gymnasium mit weniger als einem vollen Schuljahr Sozialwissenschaften verlassen (und zwar als Zusatzkurs in der Q2) und man es maximal drei Jahre (Einführungsphase, Qualifikationsphase I und II) belegen kann, sollten eben diese drei Jahre mindestens Pflicht sein. Außerdem könnte sich ein Beispiel an den Haupt-, Real- und Gesamtschulen des Landes genommen werden, in welchen Sozialwissenschaften teilweise sogar neben Politik bereits in der Sekundarstufe I (Klasse 5-10) belegt werden kann.

„Den Sozialwissenschaften sollte ein größerer Stellenwert in der Schullaufbahn eingeräumt werden. Nur so kann politische Bildung gelingen!“

Nur so kann politische Bildung gelingen und nur so kann eine adäquate Verknüpfung der drei Fachbereiche Soziologie, Politik und Wirtschaft erfolgen. Eine Reduzierung auf weniger würde nur mit einer gleichzeitigen Reduzierung des Bildungsniveaus einhergehen, selbst wenn ausschließlich die Teildisziplinen Politik und Wirtschaft betrachtet werden. Diese Fachbereiche existieren nicht autark, sie haben Synergieeffekte mit den jeweils anderen und sollten daher auch gesamtgesellschaftlich betrachtet und gelehrt werden.

Neben der absolut unverkennbaren Notwendigkeit des Faches im Hinblick auf die Erziehung zum mündigen Bürger, welche Ziel einer jeden Schulform und Ausbildung ist, darf aber vor allem niemand durch eine solche Aktion auf der Strecke bleiben. Studierende können nicht einfach ihrem Schicksal nach etlichen Jahren Studium überlassen werden, Lehrkräfte können nicht plötzlich als unqualifiziert gelten, nachdem sie entweder ihren Masterabschluss oder ihr Staatsexamen abgelegt haben. Damit tritt die Landesregierung das eigene Bildungssystem mit Füßen und für die eigenen Bediensteten ist es der sprichwörtliche Schlag ins Gesicht.

„Wenn NRW so weiter macht, schafft es sich seinen Lehrkräftenachwuchs ab und fördert weiterhin das bestehende Problem des Lehrkräftemangels.“

Das Land NRW macht sich damit nicht nur zum unbeliebten Arbeitgeber, weitreichende Folgen einer solchen Entscheidung werden schlichtweg nicht bedacht. Aktuell Studierende werfen nicht plötzlich ihr Studium hin und beginnen eine im Zweifel 6,5-jährige Ausbildung von Neuem, wenn sie in anderen Bundesländern ihrem Beruf nachgehen können. Selbiges gilt für die aktuellen Lehrerinnen und Lehrer in NRW. Wieso sollte ich mich fortbilden, wenn ich meinem Beruf und meiner Leidenschaft wenige Kilometer entfernt (z.B. in Rheinland-Pfalz) weiterhin nachgehen kann oder sich eine Fortbildung vielleicht auch für wenige verbleibende Jahre nicht mehr lohnt.

Wenn NRW diese Richtung beibehält, schafft es sich seinen Lehrkräftenachwuchs ab und fördert statt einer Lösung weiterhin das bestehende Problem des Lehrerkräftemangels, welches es seit Jahren zu bekämpfen gilt. Den aktuell Studierenden der Sozialwissenschaften bleibt nur die Möglichkeit ihre Lehramtsausbildung in einem anderen Bundesland mit dem Referendariat zu beenden und mit diesem Wegfall wird gleichzeitig auch ein Wegfall von zukünftigen Lehrkräften in den anderen Fachrichtungen einfach hingenommen. Seit vielen Jahren findet die Lehramtsausbildung immer in mindestens zwei Fächern statt. Das Bild beispielsweise des Diplomsportlehrers, welcher nur ein Fach unterrichtet, gilt als absolute Ausnahme.

„Die Abschaffung des Faches Sozialwissenschaften wäre ein verheerender Fehler“

Auch wenn ein neues Studienfach eingerichtet wird, damit das „neue Fach“ Wirtschaft/Politik auch angemessen studiert und ohne Zertifikatskurs unterrichtet werden darf, wird darüber hinweggesehen, dass die erste Lehrkraft, die diesen Bildungsweg durchläuft, in frühestens 6,5 Jahren ihre Ausbildung absolviert haben wird. Und auch der erste Durchlauf des Zertifikatskurses mindestens ein Jahr benötigt. Wer soll diese Lücke schließen?

Zusammenfassend kann man festhalten, dass schon alleine die Abschaffung des Faches Sozialwissenschaften in NRW aufgrund der Relevanz für die soziologische aber vor allem für die ökonomische und politische Bildung ein verheerender Fehler wäre und damit auch nicht das Ziel unserer Landesregierung sein kann, welche eben diese stärken möchte. Zudem kann die Art und Weise wie Studierende und Lehrkräfte dabei auf der Strecke bleiben würden, Risiken für den gesamten Bildungssektor unbeachtet bleiben und die Zukunft unseres Landes damit aufs Spiel gesetzt wird, nicht akzeptiert werden.

Wir sind für die Sozialwissenschaften als festen Bestandteil im Lehrplan des Landes NRW!
Wir sind für eine adäquate Erziehung zum mündigen Bürger!
Wir sind für gelingende soziologische, politische und ökonomische Bildung!

UND
Wir sind dafür, dass niemand auf der Strecke bleibt!

Update: Zwischenzeitlich ist zu diesem Thema ein weiterer Artikel der PIratenNRW erschienen, indem wir zitiert werden.

Wegfall von So(zial)Wi(ssenschaften) schränkt interdisziplinäres Denken ein

Quellen und Nachweise:

Zur Zulassung, das neue Fach unterrichten zu werden:

https://www.wiwo.de/politik/deutschland/bildungspolitik-die-kritik-am-schulfach-wirtschaft-ist-gegenstandslos/26062684.html

Zu den Plänen eines neues Fachs:

https://www.gew-nrw.de/meldungen/detail-meldungen/news/fach-sozialwissenschaften-soll-abgeschafft-werden.html?fbclid=IwAR16MfazbOn7vU5CMJlhlnoC2B7xwPV1XroYB3vEreQPdVzIXQxVWfCQn5I

https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/bildung-nrw-will-ausbildung-von-wirtschaftslehrern-aendern-und-erntet-protest/26828946.html?ticket=ST-7294147-yG5WaR5mVkVWfNH5Nb9e-ap4

https://www.lehrer-werden.nrw/was-bringst-du-mit/voraussetzungen

Zu den Lehrplänen:

https://www.schulentwicklung.nrw.de/lehrplaene/lehrplannavigator-s-ii/gymnasiale-oberstufe/sozialwissenschaften/sozialwissenschaften-klp/index.html

https://www.schulentwicklung.nrw.de/lehrplaene/upload/lehrplaene_download/gymnasium_g8/gym8_politik-wirtschaft.pdf

Über den Autor

Kristian Katzmarek ist angehender Lehrer für Mathematik und Sozialwissenschaften und studiert aktuell im Master an der Universität zu Köln. Seinen Bachelor-Abschluss legte er 2017 an der Bergischen Universität Wuppertal ab.

Die Piratenpartei vertritt er im Kreistag Rhein-Erft als sachkundiger Bürger in der Grünen-Kreistagsfraktion im Ausschuss für Schule, Kultur und Sport. Weiterhin ist er im Ortsverband Frechen aktiv.

Privat engagiert er sich im Bereich Kinder- und Jugendarbeit, interessiert sich für Sport und Gesundheit und hat ein Faible für Oldtimer.